Leseprobe
Inhalt
Vorwort von S.H. Drikung Kyabgön Chetsang
Vorwort der Herausgeberin der englischen Ausgabe
Danksagung
Vorwort zur deutschen Ausgabe
Einführung
Die Juwelenschatzkammer guter Ratschläge
Auflistung der ersten Zeilen der hundert Verse
Einleitende Verse
Allgemeine Ratschläge
Ratschläge für Meditierende
Ratschläge für Mahayana-Praktizierende
Ratschläge zu den sechs Vollkommenheiten
Anhang
Index
Ausgewählte Bibliografie
LESEPROBE (aus dem Kapitel “Ratschläge für Meditierende”)
13 Das Ansammeln von Reichtum ist wie [der Fleiß von] Bienen, die Honig sammeln.
Wir werden durch ihn gefesselt und andere nehmen sich einfach davon.
Sammle deshalb durch die Praxis der Freigebigkeit Verdienst an.
Dies ist mein Herzensrat.
Das Ansammeln von Reichtum, verbunden mit dem Verlangen, in diesem Leben reich zu werden, ist vergleichbar mit dem Honigsammeln der Bienen. Dieser Besitz fesselt uns an Samsara und wird uns mit vielen Methoden, einschließlich Diebstahl und anderem, leicht von anderen abgenommen. Da dies zu einer Quelle von Leiden wird, erklärt dieser Vers die Übung von Freigebigkeit. Mit der Ansammlung von Reichtum sollten wir daher auch Verdienste ansammeln, indem wir Freigebigkeit ausüben. Das Resultat von Freigebigkeit ist wahrer Reichtum, der in diesem und in zukünftigen Leben genutzt werden kann. Dieser Reichtum kann verwendet werden, um das Erwachen zu erlangen. Was für ein wunderbarer Reichtum!
In ‚Der kostbare Schmuck der Befreiung‘ erklärt der Erhabene Gampopa Freigebigkeit mit einem Zitat aus dem ‚Sutra, das von dem Haushälter Drakshulchen erbeten wurde‘:
Was du gegeben hast, gehört dir; was im Haus verbleibt, gehört dir nicht.
Was du gegeben hast, besitzt Essenz; was im Haus verbleibt, hat keine Essenz.
Was gegeben wurde, muss nicht geschützt werden; alles im Haus Aufbewahrte muss geschützt werden.
Was man weggibt, ist frei von Furcht; alles im Haus Zurückgehaltene wird mit Furcht festgehalten.
Was gegeben wurde, ist dem Erwachen näher; was im Haus verbleibt führt zu den Maras.
Die Übung der Freigebigkeit führt zu großem Reichtum; was im Haus bleibt, bringt nur wenig Besitz.
Was gegeben wurde, führt zu unerschöpflichem Wohlstand; was im Haus aufbewahrt wird, wird sich erschöpfen.
Milarepa sagte: „Der erste Eindruck von Wohlstand ist, dass dieser wie ein wunscherfüllendes Juwel ist. Später, im zweiten Schritt, können wir ohne ihn nicht leben. Schließlich wird er zu einem Haken, der Diebe und Räuber anzieht.“
Als Milarepa eines Tages von einem Ort zu einem anderen ging, warnten ihn die Dorfbewohner: „Geh nicht auf diesem Weg, er ist sehr gefährlich.“ Er fragte sie: „Was für eine Gefahr lauert dort?“ Sie erklärten ihm, dass es dort viele Diebe und Räuber geben würde. Milarepa lachte nur: „Aber ich besitze nichts, was man stehlen könnte.“ Er war so frei.
Bei einer anderen Gelegenheit meditierte Milarepa nachts in einer Höhle, als sich ein Dieb hereinschlich und in allen Ecken suchte, ob es etwas zu stehlen gab. Milarepa begann zu lachen und der Dieb fragte, was so lustig sei. Milarepa antwortete: „Wenn du hier in der Nacht etwas findest, was ich selbst bei Tageslicht nicht finden kann, bitte nimm es mit.“ Der Dieb lachte ebenfalls und ging.
Wohlstand zu besitzen und reich zu sein bedeutet also nicht unbedingt, dass man ein gutes Leben hat oder glücklich ist. Ein Esel mit einer Ladung Gold auf dem Rücken hat sehr viel Gold, aber das macht ihn nicht glücklich, da er die Bedeutung von Reichtum nicht kennt oder nicht weiß, wie er diesen nutzen könnte. Ganz gleich, ob jemand reich ist oder nicht, das Verständnis dafür, wie man zufrieden ist und Wertschätzung für das, was man besitzt, entwickelt, ist das, was wirklich Glück bringt. Wenn wir das, was wir besitzen, wertschätzen und damit zufrieden sind, brauchen wir tatsächlich nur das zum Leben Notwendige.
Halte einen Augenblick inne und denke über die Honigbienen nach, die jeden Tag ohne Rücksicht auf das Wetter damit beschäftigt sind, Honig zu sammeln. Die Bienen haben kaum die Möglichkeit, ihren Honig zu genießen, da ihnen das meiste einfach von anderen weggenommen wird. Ebenso gibt es auch viele von uns, die arbeiten, ohne sich die Zeit zu nehmen, richtig zu essen oder auszuruhen, nur um ein wenig Besitz anzusammeln. Diese Vorgehensweise verursacht Leiden für uns selbst und für andere, ohne dass viel dabei herauskommt. Übe daher Freigebigkeit, solange du über Wohlstand verfügst.