Leseprobe
Ăbe dich abwechselnd in beiden â Geben und Nehmen.
Nun geht es um die Ăbung von âGeben und Nehmenâ. Was ist es, das wir geben, und was ist es, das wir nehmen mĂŒssen?
Es gibt drei Dinge, die wir geben: unseren Körper, unseren Besitz und die Wurzel von allem Heilsamen. Diese drei werden als âdie Basis fĂŒr das Greifen nach einem Selbstâ bezeichnet. ZunĂ€chst identifizieren wir uns mit unserem Körper als âIchâ und dann nehmen wir fĂŒr das Wohl dieses Körpers alle möglichen SchwieÂrigkeiten auf uns und unternehmen viele Anstrengungen fĂŒr dieÂsen Körper.
Die zweite Basis fĂŒr das Greifen nach einem Selbst ist unser BeÂsitz. Nachdem wir uns mit diesem Körper als âIchâ identifiziert haben, folgt, dass wir alles, was zu diesem âIchâ gehört, als âmeinâ bezeichnen. Mein Essen und Trinken, meine Kleidung, mein Haus, mein Schmuck usw. â dies alles betrachten wir als unseren Besitz. Unser Körper und alle BesitztĂŒmer sind mit diesem Leben verbunden.
Der dritte Aspekt, die Wurzel des Heilsamen, ist das, was auch in zukĂŒnftigen Leben GlĂŒck bewirkt. Wir unternehmen vielfĂ€ltige Anstrengungen, um ein möglichst groĂes heilsames Potenzial oder Verdienst anzusammeln und so wird auch dieses Heilsame zu einer Basis fĂŒr das Greifen nach einem Selbst.
Diese drei â unser Körper, Besitz und die Wurzel des Heilsamen â sind fĂŒr uns sehr wichtig und kostbar. Von den ersten beiden erwarten wir einen Nutzen in diesem Leben und von unserem angesammelten heilsamen Potenzial erwarten wir GlĂŒck in zuÂkĂŒnftigen Leben.
Es sind diese drei Aspekte des Greifens nach einem Selbst, die wir in der Ăbung von âGeben und Nehmenâ geben mĂŒssen.
Nun zu dem, was wir nehmen. Wir können diese Ăbung von âGeben und Nehmenâ wie eine GeschĂ€ftshandlung betrachten. Wir bezahlen mit unserem Körper, Besitz und unserem Verdienst und bekommen dafĂŒr etwas zurĂŒck. Was wir in der Praxis von âGeben und Nehmenâ erhalten, ist das Leid aller fĂŒhlenden WeÂsen, die unsere Eltern gewesen sind. Wir nehmen das Resultat, alles Leid der Wesen und ebenso die Ursache dieser Leiden, die störenden Emotionen â Anhaftung und Begierde, Ărger und Hass, Eifersucht, Stolz, Unwissenheit usw. â sowie alle Krankheit und alle Schmerzen. Wir nehmen alle negativen Ursachen und Wirkungen der fĂŒhlenden Wesen in den drei Bereichen auf uns. AuĂerdem nehmen wir alles negative Karma, das die Wesen durch die zehn unheilsamen Handlungen, die fĂŒnf schwerwieÂgenden Handlungen mit unmittelbarer Vergeltung usw. angeÂsammelt haben. In der gleichen Weise nehmen wir alle gebrocheÂnen oder beschĂ€digten GelĂŒbde und tantrischen Verpflichtungen (skr. Samaya), alles Karma, das zu Leiden fĂŒhrt, auf uns.
In dieser Weise praktizieren wir âGeben und Nehmenâ.
Nachdem wir wissen, was wir geben und nehmen, geht es nun um die Frage, wie wir dieses ĂŒben. Hierzu heiĂt es:
Verbinde beide mit dem Atem.
In Bezug auf das Geben bedeutet dies die Vorstellung, dass wir unseren Körper, all unseren Besitz und unseren Verdienst mit dem Ausatmen in der Form von weiĂem Licht, wie die Strahlen der Sonne oder des Mondes, aussenden. Wir visualisieren, dass wir unseren Körper, BesitztĂŒmer und alles heilsame Potenzial als weiĂes Licht gemeinsam mit dem Atem zu allen Wesen in den drei Bereichen senden. Wenn diese Lichtstrahlen die Wesen beÂrĂŒhren, denken wir: âMögen alle fĂŒhlenden Wesen GlĂŒck erfahÂren und frei sein von Leid.â So zerstören wir das Leid aller Wesen und fĂŒhren sie zur vollkommenen Buddhaschaft. Wir sollten uns dann daran erfreuen, dass wir dazu fĂ€hig waren.
Wenn wir dann erneut einatmen, verbinden wir alles Leiden, alle störenden Emotionen, alle Krankheit, alle widrigen UmstĂ€nde und Hindernisse aller Wesen mit dem Atem und atmen all dies in der Form von schwarzem Rauch ein. Wir können uns das LeidÂvolle, Negative auch in der Form eines Skorpions oder in einer anderen grauenhaften Erscheinung vorstellen. Wir nehmen dieses mit dem Atem durch unsere Nase auf, es steigt in uns nach unten und berĂŒhrt unser Herz. Wenn wir so meditieren, entsteht in uns eine unertrĂ€gliche Empfindung. Dies ist der Moment, in dem diese Praxis tatsĂ€chlich zu einem Gegenmittel gegen das Greifen nach einem Selbst wird.
Hier kommen wir zu einer Kernanweisung fĂŒr die Praxis von âGeben und Nehmenâ, das âAustauschen von sich selbst mit andeÂrenâ. Diese bezieht sich auf die Frage, ob wir bei der Ăbung von âGeben und Nehmenâ von der Existenz eines Selbst ausgehen oder davon, dass dieses Selbst nicht existiert. Hierzu heiĂt es, dass es besser ist, davon auszugehen, dass ein Selbst existiert, wenn wir âGeben und Nehmenâ praktizieren. Der Meister Atisha verdeutlichte dies an dem Beispiel einer Pflanze. Wenn wir den Samen in völlig sterilen, sauberen Boden legen, wird die Pflanze nur schwerlich gedeihen. Wenn man jedoch DĂŒnger hinzufĂŒgt, fördert dies ein gutes Wachstum. Dieses Beispiel soll verdeutÂlichen, dass es besser ist, die Praxis von âGeben und Nehmenâ mit der Vorstellung eines existierenden Selbst zu ĂŒben. Wenn wir ohne die Annahme eines Selbst praktizieren, wird dies sehr viel schwieriger sein.
Wie fĂŒhren wir die Praxis, verbunden mit der Annahme, dass ein Selbst existiert, aus? Wir stellen uns vor, dass sich dieses âIchâ in der Form einer soliden Masse in unserem Herzzentrum befindet. Dieses âIchâ oder âSelbstâ ist real, materiell wie ein solider Ball oder ein Stein in unserem Herzen. Wenn wir dann alles Leiden, alle Hindernisse usw., verbunden mit dem Einatmen, in uns aufÂnehmen, gehen diese direkt in unser Herzzentrum zu diesem Ball oder Stein, der die Basis fĂŒr unser Greifen nach einem Selbst darÂstellt. All dieses schreckliche Leiden attackiert den Ball in unseÂrem Herzen, sodass dieser immer kleiner und kleiner wird.
Was hier also geschieht, ist, dass unser Greifen und Festhalten an einem Selbst immer weiter schrumpft. Manchmal sorgen wir uns vielleicht darĂŒber, was geschieht, wenn alles Leiden aller fĂŒhlenÂden Wesen der sechs Bereiche zu uns kommt. Wir fragen uns, ob wir diese Aufgabe tatsĂ€chlich bewĂ€ltigen können. Was tatsĂ€chlich geschieht, wenn wir alles Leiden annehmen, ist, dass dies unser Festhalten an einem âIchâ zerstört. Dieses âIchâ wird kleiner und kleiner, sodass sich schlieĂlich die Frage stellt, wer Leid erfĂ€hrt, wenn es kein âIchâ mehr gibt. Daher werden wir durch diese Ăbung kein zusĂ€tzliches Leid erfahren, denn unser âIchâ oder Selbst wird dadurch zerstört. Wenn es das âIchâ, an dem wir festÂhalten könnten, nicht mehr gibt, ist da auch Niemand mehr, der leidet. Wenn also alles Leid der Wesen unser Herz berĂŒhrt, mĂŒsÂsen wir uns nicht sorgen, dass wir dadurch mehr Leiden erfahren.
In der Anweisung zur Praxis heiĂt es, dass beide â Geben und Nehmen â mit dem Atem verbunden werden. Ausatmend geben wir unseren Körper, Besitz und alle Tugenden und senden diese zu allen fĂŒhlenden Wesen in den sechs Bereichen, befreien sie so von allen Leiden, sodass sie die vollkommene Buddhaschaft erÂlangen, und erfreuen uns schlieĂlich daran. Diese Visualisierung benötigt eine gewisse Zeit, wofĂŒr wir normalerweise mehrere AtemzĂŒge benötigen.
Wenn wir ĂŒber diesen Teil der Ăbung in allen Details meditiert haben, Ă€ndern wir mit dem nĂ€chsten Einatmen die Visualisierung und nehmen nun alles Leiden, Krankheit, Hindernisse, Karma usw. an. Auch dieser Teil benötigt meist einige AtemzĂŒge. Die Betonung liegt hier also auf der Visualisierung und nicht auf dem Atem. Wir beginnen mit dem Ausatmen und den damit verbunÂdenen Vorstellungen und nehmen uns soviel Zeit, wie wir benöÂtigen. Dann Ă€ndern wir mit dem nĂ€chsten Einatmen die VisualiÂsierung und nehmen uns auch hier wieder die Zeit, die wir benöÂtigen, wĂ€hrend wir normal weiter atmen. Wenn die Vorstellung des Nehmens vollstĂ€ndig ist, wechseln wir erneut mit dem nĂ€chsten Ausatmen zur Ăbung des Gebens usw.
Liebende GĂŒte, MitgefĂŒhl und Bodhicitta sind wichtige Aspekte, die wir ĂŒben und entwickeln mĂŒssen. Sie sind auĂerordentlich kostbar und können jederzeit, an jedem Ort und zu jeder GeleÂgenheit praktiziert werden.
S. 62 – 66