Das Studienseminar mit Khenpo Tamphel geht weiter
„Wenn du den Gongchig kennst, kennst du den Buddhismus.
Wenn du den Gongchig nicht kennst, kennst du den Buddhismus nicht.“
Ven. Pachung Rinpoche
Was ist der Gongchig?
Der Gongchig ist eine Sammlung von zentralen Darlegungen und Erläuterungen zur buddhistischen Philosophie und wurde basierend auf den Belehrungen von Kyobpa Jigten Sumgön (1143-1217) von dessen Herzenssohn Chenga Sherab Junge (1187-1241) zusammengestellt. Dieser Text gilt als das tiefgründigste, philosophische Werk der von Kyobpa Jigten Sumgön begründeten Drikung Kagyü Linie. Auch, wenn diese Lehren früher nur an fortgeschrittene Praktizierende weitergegeben wurden, so sind sie doch essenziell für alle Buddhisten.
Von seinem Grundaufbau her besteht der Gongchig aus 152 primären und 46 ergänzenden Vajra-Aussagen, die von Chenga Sherab Jungne in acht Kapiteln von unterschiedlicher Länge geordnet wurden:
1. die Zusammenfassung der wesentlichen Punkte der Dharma-Räder,
2. die Zusammenfassung der wesentlichen Punkte des Entstehens in Abhängigkeit,
3. die Zusammenfassung der wesentlichen Punkte des Vinaya,
4. die Zusammenfassung der wesentlichen Punkte der Bodhisattva-Schulung,
5. die Gelübde der Wissenshalter des Geheimen Mantras,
6. die besondere Sicht, Meditation und Verhalten,
7. das Ergebnis, die Ebene der Buddhaschaft, und
8. die zusätzlichen Aussagen.
Welche Erklärungen gab es bisher?
Im Herbst geht das Studienseminar zum Gongchig in die fünfte Runde. In den ersten vier Seminaren hatte sich Khenpo Tamphel mit dem ersten Kapitel und seinen dreißig Vajra-Aussagen beschäftigt. Worum ging es bisher? Ein kurzer Rückblick.
Im ersten Seminar (November 2017) hat Khenpo Tamphel die Vajra-Aussagen 1-4, im zweiten (März 2018) 5-11, im dritten (Mai 2018) 11-16 und im vierten (Juni 2019) 17-30 behandelt und damit das erste Kapitel abgeschlossen.
Zentrales Thema des ersten Kapitels waren die drei Räder der Lehre. Diese drei Räder werden meistens mit drei Orten, an denen der Buddha gelehrt hat, und mit drei Themenschwerpunkten verknüpft. So hat Buddha das erste Rad der Lehre, das u.a. die vier edlen Wahrheiten enthält, in Varanasi in Nordindien gedreht. Die dort gegebenen Lehren handeln vom Gesetz des Karma, von Ursache und Wirkung, und von der ethischen Disziplin. In diesen Lehren spricht Buddha noch nicht viel über Leerheit.
Das Thema Leerheit in Bezug auf das Selbst wie auch in Bezug auf äußere Phänomene prägt die Lehren des zweiten Dharma-Rades, das der Buddha in der Nähe von Bodhgaya, auf dem Geierberg, drehte.
Das dritte Dharma-Rad hat der Buddha hauptsächlich, aber nicht nur, an dem Ort Vaishali in Bewegung gesetzt. Dort lehrte er viele verschiedene Sutras wie das Lankavatara-Sutra und andere, in denen er auch über die Buddha-Natur spricht und aufzeigt, dass alle Wesen diese Buddha-Natur in sich tragen. Diese Sutras besitzen schon eine deutliche Verbindung zu den Lehren von Mahamudra.
Warum werden die Dharma-Räder eigentlich „Räder“ genannt? Das ist, wie Khenpo Tamphel ausführte, natürlich eine Metapher. Ein Rad ist in Bewegung und bringt einen irgendwohin. Man erreicht ein neues Ziel. So ist es auch bei den Dharma-Rädern.
Die Einteilung des Dharma in die drei Räder hat sich auch in den Seminaren als ein nützliches Gerüst erwiesen, um einen Einstieg in die buddhistischen Basislehren zu finden, ihre wichtigsten Inhalte und Merkmale kennenzulernen, aber auch, um mit der kundigen Wegleitung durch Khenpo Tamphel einen Einblick in Fragen und Debatten zu bekommen, die sich in den Jahrhunderten der Entfaltung der Lehre entwickelt haben und zu denen Jigten Sumgön Stellung bezieht. Fragen wie diese helfen, die Lehre zu verstehen: Warum sind es drei? Wodurch unterscheiden sie sich und wodurch sind sie verbunden? Sind die Räder unabhängig oder bilden sie nur zusammen den Weg zur Befreiung? Entsprechen Ihnen Stufen der Verwirklichung? Ist ein Rad ‚definitiver‘ als ein anderes?
Von dem Hauptthema der Dharma-Räder ist Khenpo Tamphel auf viele weitere Aspekte der buddhistischen Lehre (besser vielleicht: der Lehren) und auf Fragen der konkreten Praxis eingegangen. Durch Khenpo Tamphels strukturierte Lehrweise und seine vielfältigen und lebendigen Beispiele wurde so der nicht ganz einfache Text gut zugänglich und der Zusammenhang der tiefgründigen Aussagen verständlich.
Was kommt jetzt?
Das erste Kapitel hat Khenpo Tamphel im Juni abgeschlossen. Im kommenden Seminar wird er mit dem zweiten Kapitel beginnen, das den Obertitel „Gegenseitige Abhängigkeit“ trägt. Dort behandelt Jigten Sumgön auch, aber nicht nur, das „abhängige Entstehen“ (ebenfalls als „Bedingte Entstehung“ oder „Entstehen in Abhängigkeit“, skr. pratītya-samutpāda, bezeichnet).
Das „abhängige Entstehen“ ist – in allen drei Rädern – ein zentrales Lehrstück der buddhistischen Philosophie und eng mit den weiteren Teilen der Lehre verknüpft. Schon in „der größten und ältesten systematischen Darstellung des Buddhismus“, dem Visuddhi-Magga aus dem 5. Jh. n. Chr. heißt es:
„Warum aber hat der Erhabene die Bedingte Entstehung auf diese Weise dargelegt? Weil die bedingte Entstehung an jeder Stelle heilbringend ist und weil ihm die Anmut in der Darlegung eignet.
Die Bedingte Entstehung nämlich ist deshalb an jeder Stelle heilbringend, weil sie von jeder Stelle aus zur Durchdringung des rechten Pfades führt.“
Die zwölf Glieder des „abhängigen Entstehens“ beginnen mit der Unwissenheit und enden mit Geburt, Alter, Krankheit und Tod. Dazwischen liegen Bildekräfte, Bewusstsein, Name und Form, die sechs Sinnestore, Berührung, Gefühl, Dürsten, Begierde und Werden. Jedes der Glieder ist durch die vorangehenden bestimmt und beeinflusst wiederum die folgenden. Und solange auf den Tod die Wiedergeburt folgt, geht es immer im Kreis (von Samsara) herum. Bei welchem der zwölf Glieder man auch in der Betrachtung ansetzt: wenn man aufmerksam weiterschreitet, egal ob vor oder zurück, lernt man Stück für Stück alle Glieder kennen und ihren Zusammenhang zu erfassen.
Die fünfzehn Vajra-Aussagen des zweiten Kapitels behandeln darüber hinaus auch eine Reihe von weiteren Themen, die sich um den Zusammenhang von Ursache und Wirkung drehen. So lautet etwa die siebte Vajra-Aussage: „Aufgrund der Verschiedenartigkeit des Geistes sind es auch die Erscheinungen.“ Wie kommt es, dass ‚dieselbe Sache‘ nicht allen Wesen gleich erscheint? Die Beschaffenheit ihres Geistes trägt viel zu der ‚äußeren‘ Erscheinung bei. Das sogenannte ‚Äußere‘ ähnelt vielleicht eher einem nach außen gestülpten ‚Inneren‘. „Weil der Geist aller, der Höchsten wie der Geringsten, verschieden ist, treten auch alle Erscheinungen verschieden hervor. Um ein Beispiel zu geben, sehen Götter Wasser als Nektar, Menschen als Wasser, Hungergeister als Eiter und Blut.“
Auf Fragen der Praxis und des Aufbaus einer Meditationssitzung hingegen geht die vierzehnte Vajra-Aussage ein: „In einer Sitzung sind alle Stufen des Pfades zu praktizieren.“ Was das bedeutet und wie es umzusetzen ist, wird Khenpo Tamphel neben den vielfältigen weiteren Aspekten, die das zweite Kapitel bereithält, darlegen.
Vom Gongchig, diesem grundlegenden Text der Drikung Kagyü Linie, kann man also sicher sagen, dass er „von jeder Stelle aus zur Durchdringung des rechten Pfades führt.“ Der Beginn des zweiten Kapitels ist ein guter Zeitpunkt in diese „Durchdringung“ mit der Hilfe von Khenpo Tamphel einzusteigen.
Die früheren Erklärungen sind als mp3-Aufnahme im Zentrum erhältlich.
Rolf
Nächstes Seminar mit Khenpo Tamphel:
Das abhängige Entstehen
Unterweisungen zum Gongchig – Teil 5
Studienseminar mit Khenpo Tamphel, Fr. 29.11. – So. 01.12.2019