Den Weg des Buddha gehen

Die vier Gedanken und die Zufluchtnahme

Um die Lehren des Buddha anzuwenden, die auch in der heutigen Zeit noch aktuell sind, folgen wir den Stufen und Pfaden, wie sie über viele Generationen überliefert wurden. Diese beginnen mit grundlegenden Erklärungen und der Zufluchtnahme, durch die wir unseren Geist der Lehre zuwenden.

Die Erklärungen zu den allgemeinen, grundlegenden Übungen werden in den tibetischen Traditionen in vier Themen zusammengefasst, die als die vier Gedanken oder die vier Wege, den Geist auszurichten, bekannt sind. Sie werden auch als „die vier Kontemplationen, um dieses Leben bedeutungsvoll zu machen“ bezeichnet. Damit man sich immer wieder an sie erinnert, über sie nachdenkt und schließlich entsprechende Schritte ergreift, um sich aus den Leiden des Samsara zu befreien, sind sie in vielen Texten und Kommentaren enthalten.

Der kostbare Menschenkörper
Oh! Freiheiten und Ausstattungen dieser Art sind äußerst schwierig zu erlangen. Wenn dieser leicht zu verlierende Körper einmal erlangt wurde, soll man ihn nicht bedeutungslos verschwenden, sondern dazu nutzen, das freudvolle Ziel der absoluten Befreiung zu erreichen.

Vergänglichkeit
Die Natur aller Phänomene ist Vergänglichkeit; der Tod ist eine Gewissheit für alle, die geboren sind. Der Zeitpunkt des Todes ist so unsicher wie der [des Herabfallens] eines Tropfens Morgentau von einem Grashalm. Dies ist der Zeitpunkt, unverzüglich die Essenz des Dharma zu praktizieren.

Ursache und Wirkung (Karma)
Die Frucht des positiven Karma ist Glück; Leiden ist die Frucht von negativem Karma. Das unausweichliche Gesetz von Ursache und Wirkung ist die Bestehensweise aller Phänomene. Übe deshalb von nun an den Dharma aus, indem du zwischen dem, was ausgeübt werden soll und dem, was aufgegeben werden soll, unterscheidest.

Die Leiden der Daseinsbereiche
In den drei niederen und sogar in den drei höheren Bereichen gibt es nicht einmal für einen einzigen Augenblick wirkliches Glück. Gib deshalb die Wurzelursache des Herumwanderns in Samsara auf und übe den ausgezeichneten Pfad des Friedens der Erleuchtung.

Zufluchtnahme
Nachdem wir immer wieder über diese vier Themen nachgedacht haben und durch Kontemplation zu einem tieferen Verständnis gekommen sind, beginnen wir, uns auf einen Weg zur Befreiung aus den Leiden des Samsara zu begeben, indem wir Zuflucht zu den drei Juwelen nehmen.

Zum Buddha, zum Dharma und zur höchsten Versammlung des Sangha
nehme ich bis zur Erleuchtung Zuflucht.
Möge ich durch das Verdienst der Freigebigkeit und anderer Handlungen[1]
Buddhaschaft zum Wohle der Wesen erlangen.

Der Buddha ist aus dem Schlaf der Unwissenheit erwacht. Durch seine Qualitäten kann er anderen Wesen nutzen und sie auf die Stufen und Pfade zur Befreiung aus dem Kreislauf des Leidens (Samsara) führen.
Seine Lehren (Dharma) enthalten die Erklärungen und Methoden, wie man sich über die Stufen und Pfade aus dem Samsara befreien kann.
Über die Gemeinschaft (Sangha) der nachfolgenden Generationen wurden die Lehren bis heute authentisch weitergegeben, indem nicht nur die Schriften in viele Sprachen übersetzt wurden, sondern auch die Verwirklichungen im eigenen Geist immer wieder hervorgebracht wurden.
Die Zufluchtnahme ist eine Entscheidung, die buddhistischen Lehren anzuwenden, um unser Leben bedeutungsvoll zu machen. So können wir uns von den Einflüssen negativer Geisteshaltungen befreien und heilsame Qualitäten des Geistes entwickeln. Danach folgen die weiteren Übungen zur Reinigung von negativem Karma, zur Ansammlung von Verdienst usw., die wir dann nach und nach in unserem Leben anwenden und umsetzen. Indem wir die verschieden Stufen und Pfade der geistigen Entwicklung durchlaufen, werden alle Ursachen für Leiden überwunden und alle heilsamen Qualitäten vervollkommnet.
Von dem Moment an, in dem wir zu den drei Juwelen Zuflucht nehmen, entwickeln wir die feste Entschlossenheit, ihnen zu folgen. Dadurch bringen wir die große Umwandlung in uns hervor, die uns zu dem unabhängigen und transzendenten Zustand führt, welcher die Buddhaschaft ist.

So sagte Buddha in einem Sutra:

Die Buddhas waschen den Schmutz des unheilvollen Karma nicht mit Wasser weg;
sie entfernen das Leid der fühlenden Wesen nicht mit ihren Händen;
sie übertragen ihre Weisheit nicht auf andere;  
aber sie offenbaren die Wahrheit der absoluten Wirklichkeit.

Deshalb hängen die Reinigung des Karma, die Befreiung von Leid und das Erkennen der absoluten Wirklichkeit von unserer eigenen Praxis ab. Dies alles ist nur möglich, wenn wir Buddha, Dharma und Sangha folgen – das ist die Zuflucht. Ratna Shri, Drikung Kyobpa Jigten Sumgön, hat gesagt:

Die Zufluchtnahme zu den drei Juwelen umfasst alle Lehren des Buddha,
deshalb ist sie das Vollkommenste.
Sie ist wie der Grundstein eines Hauses;
wenn sie nicht fest genug ist, wird die gesamte Dharma-Praxis nutzlos sein.
Die Zuflucht ist das einzige Tor, das zum Pfad der großen Befreiung
und zum erleuchteten Zustand der Buddhaschaft führt.

Neben der Schulung der Ethik und der Entwicklung des Geistes durch Meditation gehört auch das Studium philosophischer Inhalte zu den drei Schulungen des Buddhismus. So führen Theorie und persönliche Erfahrung zur Erkenntnis der Bestehensweise der Phänomene. Damit wird die Unwissenheit, die zu negativen Handlungen und leidvollen Erfahrungen führt, überwunden.
In den buddhistischen Überlieferungen haben sich verschiedene Traditionen entwickelt, die unterschiedliche Schwerpunkte der Lehren betonen, während die Grundlagen in allen buddhistischen Schulungen gleich sind. Einige Traditionen betonen die Methoden zur persönlichen Befreiung, während die Methoden des Mahayana andere Wesen in den Weg zur Befreiung einbeziehen. Diese Sichtweise beruht darauf, dass alle fühlenden Wesen das Potenzial eines Buddha besitzen und verwirklichen können, wie es z.B. im Mahayana-Uttara­tantra, einem ausführlichen Kommentar über die Buddha-Natur, erklärt wird.

Durch die Entwicklung des Erleuchtungsgeistes (skr. Bodhicitta) bringen wir den Wunsch hervor, die Qualitäten eines Buddha zu verwirklichen, um den fühlenden Wesen zu nutzen und sie aus den Leiden zu befreien.

Kostbares Streben nach Erleuchtung zum Wohle aller Lebewesen –
möge es entstehen, wo es noch nicht entstanden ist;
möge es nicht abnehmen, wo es schon entstanden ist;
möge es immer weiter anwachsen.

 

Der tibetische Buddhismus umfasst die Essenz der Lehren aus Sutras und Tantras. So stehen wirkungsvolle Methoden zur Verfügung, das eigene Potenzial zum Nutzen aller Wesen in sehr kurzer Zeit zu entfalten. Neben grundlegenden Übungen gibt es weiterführende Praktiken, in denen Visualisierungen und Mantra-Rezitationen zur Entwicklung geistiger Qualitäten angewendet werden. Diese werden seit vielen Generationen durch besondere Übertragungen weitergegeben. So verbinden wir uns mit dem Segen der Verwirklichungen, der der Praxis eine besondere Kraft verleiht.

Diese Methoden werden in verschiedene Tantra-Klassen eingeteilt, die stufenweise Übungen beinhalten. Während andere Methoden über viele Leben angewendet werden müssen, ist es möglich, mit diesen in kurzer Zeit Ergebnisse zu erzielen. Um sie in der richtigen Weise anwenden zu können, müssen zuerst die G

Der Vajra symbolisiert Unzerstörbarkeit und die Lotusblüte Reinheit.

rundlagen geschaffen werden. Dies sind die Zufluchtnahme (und die Gelübde der persönlichen Befreiung) sowie die Entwicklung des Erleuchtungsgeistes (Bodhicitta). Danach erhält man die verschiedenen Übertragungen des Vajrayana, die man dann entsprechend der Anweisungen des spirituellen Lehrers, der diese Übertragungen gegeben hat, ausführt. Die Grundlagen und einzelnen Schritte der Übungen werden in unseren Seminaren und Praxisgruppen besprochen und gemeinsam geübt, sodass wir sie nach und nach anwenden können.

Programmhinweise
Drubpön Kunsang wird uns in diesem Herbst kurze Erklärungen zu den vier Gedanken und zur Zufluchtnahme geben. Anschließend wird ein Ritual zur Übertragung der Zuflucht sowie zur Rezitation kurzer Meditationen des tibetischen Buddhismus durchgeführt.

In den Unterweisungen zum Gongchig, die von Khenpo Tamphel gegeben werden, kommen wir jetzt zum Thema Bodhicitta. (Siehe Artikel “Bodhicitta” sowie das Seminar zum Gongchig)

In den regelmäßigen Treffen befassen wir uns sowohl mit den vier Gedanken (Kurs am Mittwochabend) als auch mit tibetischen Meditationen (Kurs am Dienstagabend). Für diejenigen, die in den Dienstagskurs einsteigen möchten, findet ein Einführungsseminar am 8. August statt.

Tändsin T. Karuna

 

[1] Freigebigkeit (Großzügigkeit) ist die erste der sechs Vollkommenheiten, die auf den Stufen der Bodhisattvas geübt werden. Die weiteren sind: ethische Disziplin, Geduld, freudige Anstrengung, Konzentration und Weisheit.