Reise in die Vergangenheit
Stell Dir vor, es gibt kein Smartphone, mit dem man blitzschnell Nachrichten austauschen und Informationen von zahlreichen Internetseiten erhalten kann. Es gibt noch nicht einmal Computer, auf denen man überhaupt Daten speichern kann. Und trotzdem hat man sich vor 40 Jahren irgendwie verständigt – mit der Post, per Telefon oder durch persönlichen Austausch. So haben wir uns zunächst im Bekanntenkreis getroffen, Tee getrunken und erst einmal alle Neuigkeiten ausgetauscht, bevor wir zusammen etwas meditiert haben.
Nachdem es ein Kagyü-Zentrum in der Nähe von Aachen gab, haben wir auch eine Kassette mit der Aufnahme einer Rezitation zur Meditation des Avalokiteshvara (tib. Chenresig) verwendet. Es gab am Anfang nur sehr wenige Texte, die als Grundlage für die tibetischen Meditationen verwendet werden konnten. Aber weil alles neu war, war es auch erst einmal genug für uns.
Aufgrund der sehr überschaubaren Literatur über den Buddhismus sind wir zu Veranstaltungen mit buddhistischen Lehrern gefahren, um Erklärungen über die Lehre und Anleitungen zur Meditation zu erhalten. Diese wurden manchmal auf Kassetten aufgenommen, sodass wir sie nachhören konnten. Die Aufnahmen dienten mir als Vorlage für Abschriften, sodass wir die Erklärungen nachlesen und als Unterlagen zu unseren Treffen verwenden konnten.
Nach einem Phowa-Kurs hatte ich dann den Wunsch, in Aachen einen Platz einzurichten, um die buddhistische Lehre auch anderen zugänglich zu machen. So wurde uns im November 1982 von S.E. Ayang Rinpoche der Name Drikung Sherab Migched Ling – der Ort, an dem sich das Auge der Weisheit öffnet – gegeben.
Ich erinnere mich auch an meine Schreibmaschine, mit der man ein paar Seiten auf einer Diskette speichern konnte, sodass man z.B. bei gleichlautenden Briefen nur noch die Anrede zu ändern brauchte. Wenn dann ein Programm angekündigt werden sollte, wurde es kopiert und per Brief an einige Leute verschickt, die sich ebenfalls für den Buddhismus interessierten. Zunächst gab es nur wenig mitzuteilen. Aus einem Blatt wurden nach und nach mehrere Seiten, bis 1999 erstmalig unser Zentrums-Rundbrief erstellt wurde. Inzwischen gab es auch Computer, die die Arbeiten sehr erleichtert haben. 1999 wurden auch unsere ersten Internetseiten eingerichtet, auf denen sich im Laufe der Jahre zahlreiche Artikel und Informationen angesammelt haben. Später ging noch unser Dharma-Shop online.
Im Jahr nach der Gründung des Zentrums kam der erste tibetische Lehrer der Drikung-Tradition für längere Zeit nach Deutschland. Drubpön Sonam Jorphel lebte abwechselnd ein Jahr im Drikung-Zentrum in Medelon (Sauerland) und ging dann wieder für ein Jahr nach Ladakh (Nordindien), um dort das Meditationszentrum und die Yogis, die sich im Retreat befanden, zu betreuen. Er kam auch immer wieder nach Aachen und kümmerte sich um alles, was gebraucht wurde. Wenn er aus Indien zurückkam, hatte er dafür gesorgt, dass verschiedene Ritualgegenstände zur Ausstattung der Zentren und für die persönliche Praxis in Deutschland verfügbar waren. Aber hauptsächlich gab er unermüdlich Unterweisungen zur Lehre und Praxis, die er systematisch von den Grundlagen bis zu den höheren Methoden des Vajrayana weitergab.
Er sorgte auch dafür, dass zahlreiche Praxistexte erstellt wurden, indem er per Hand die tibetischen Worte auf Papier schrieb. Darunter wurde dann per Schreibmaschine eine Lautschrift gesetzt. Die ersten Texte hatten wir aus Amerika erhalten, wo bereits ein Khenpo daran gearbeitet hat. Auch die Texte in Deutschland wurden zunächst ins Englische übersetzt.
1995 übertrug S.H. Drikung Kyabgön Chetsang mir die Aufgabe, Texte in deutscher Sprache zur Verfügung zu stellen und so entstand daraus der Drikung Kagyü Verlag. Wir hatten bereits damit begonnen, ein Buch von Khenpo Könchog Gyal-tsen ins Deutsche zu übersetzen. Später konnten weitere folgen. Seit einigen Jahren arbeiten wir auch daran, einen Teil der zahlreichen Abschriften, die lange als Seminarunterlagen gedient haben, intensiver zu bearbeiten, sodass sie veröffentlicht werden konnten. Es gibt mittlerweile mehrfach überarbeitete Computerprogramme für die tibetische Schrift und andere Verbesserungen, die die Arbeit erleichtern. Trotzdem wird die Arbeit nicht weniger….
Ankunft in der Gegenwart
Inzwischen haben viele buddhistische Lehrer – hauptsächlich aus der Drikung-Linie, aber auch von anderen Traditionen – unser Zentrum besucht. So konnten wir zahlreiche Unterweisungen und Übertragungen erhalten und mit den Mitgliedern und Besuchern im Rahmen unserer Veranstaltungen teilen. Es gab immer wieder Personen, die ehrenamtlich Aufgaben übernommen haben und damit zur Entwicklung des Zentrums beigetragen haben.
Mit den Aktivitäten sind auch die dafür notwendigen Umstände gewachsen. Das Zentrum hat seine Räume nach und nach erweitert und ist 1998 ist das Haus in der Oppenhoffallee gezogen, wo 1999 nach gründlicher Renovierung die Neueröffnung stattfand. In dieser Zeit wurde für Ani Elke, die bis dahin die meiste Zeit noch halbtags gearbeitet hatte, eine Teilzeitstelle eingerichtet. Da durch das neue Haus auch größere Herausforderungen entstanden, folgte 2001 eine weitere Teilzeitstelle für Christian. Im Zusammenhang mit dem Eintritt von Ani Elke in die Rente konnte schließlich auch Rolf Blume 2015 angestellt werden. Ani Elke ist weiterhin als Seminarleiterin tätig und bearbeitet schriftliche Unterlagen.
Die neueste Veränderung fand – wie überall in den letzten Jahren – im digitalen Bereich statt, in dem auch wir uns auf Online-Veranstaltungen umgestellt haben. Dies hat Vor- und Nachteile. So gibt es mehr Möglichkeiten, auch über Aachen hinaus Verbindungen zu halten. Trotzdem hoffen wir, dass auch wieder mehr persönliche Begegnungen stattfinden. Vorerst werden wir beides weiter nutzen.
Auch das Erstellen, Teilen und Verteilen schriftlicher Unterlagen unterliegt dem Wandel. So können schriftliche Unterlagen online zur Verfügung gestellt werden, was insbesondere neue Möglichkeiten für Teilnehmer*innen von Seminaren bietet. Da die Menschen immer weniger Zeit haben, wurde die Dauer von Kursen und Seminaren immer mehr gekürzt, sodass nicht mehr so viel besprochen werden kann. Daher ist es hilfreich, wenn schriftliche Unterlagen zur Verfügung stehen. Obwohl es inzwischen immer bessere Computerprogramme gibt, die auch Übersetzungen (englisch-deutsch) oder sogar Transkriptionen von mündlichen Unterweisungen übernehmen können, bleibt noch viel Arbeit, diese dann weiter zu bearbeiten. Einige Aufnahmen, die nicht so gut verständlich sind, werden weiterhin direkt abgeschrieben.
Zukunftsperspektiven
Obwohl es inzwischen viele Informationen und Veröffentlichungen über die buddhistische Lehre und Meditationen gibt, brauchen wir umso mehr eine Orientierung und Strukturen, um diese sinnvoll anzuwenden. Ausgehend von den traditionellen Wegen, wie sie in asiatischen Ländern und in den Klöstern gegangen werden, ist es immer wieder eine Herausforderung, diese an unsere westliche Welt anzupassen und für den Alltag zugänglich zu machen, ohne dabei die Möglichkeiten für eine intensivere Auseinandersetzung zu vernachlässigen.
Neben den Aktivitäten im Zentrum gibt es weitere Aufgaben, die mehr in der Öffentlichkeit stattfinden. So werden wir von Schulklassen, Studierenden und anderen Gruppen besucht oder beteiligen uns an Stadtfesten oder interreligiösen Veranstaltungen. Der öffentliche Bereich ist in den Corona-Jahren mehr in den Hintergrund getreten und wird langfristig wohl wieder mehr Bedeutung erlangen, was auch größerer Vorbereitungen bedarf. Wir hoffen, immer wieder Mitarbeiter*innen und ehrenamtlich Helfende zu finden, die mit anpacken, neue Ideen einbringen und dabei helfen, diese umzusetzen. Dazu gehören auch Aufgaben im persönlichen oder gesellschaftlichen Bereich, die teilweise zusammen mit anderen Gruppen oder Organisationen umgesetzt werden können. Es ist immer davon abhängig, was von jedem Einzelnen eingebracht und von der Gemeinschaft getragen wird. Möge es noch lange für viele von Nutzen sein.
Auf unseren Internetseiten findet ihr weitere Artikel über das Zentrum und seine Entwicklung
Puja zum Gründungstag des Zentrums am 22.11.2022
Wir werden am Dienstag, 22.11. um 19.30 Uhr eine Ganapuja mit Buddha Amitayus (tib. Tsepame), dem Buddha des langen Lebens, durchführen und damit alles Heilsame der Praxis für ein langes Leben unserer kostbaren Lehrer sowie der Mitglieder, Förderer, ehrenamtlichen und festen Mitarbeiter*innen widmen.
Herzlichen Dank an alle für ihre Mitarbeit und Unterstützung
Tändsin Tschödrön Karuna (Ani Elke Tobias)